Das Wort des Erzbischofs Marcel Lefebvre über die Exerzitien
Predigt von Erzbischof Marcel Lefebvre an Exerzitienteilnehmer, 28. September 1980
Meine lieben Brüder!
Wie sollte ich nicht die Worte des Heiligen Paulus an Euch richten: "Ich danke meinem Gott immerdar um euretwillen für die besondere Gnade, unseren Herrn Jesus Christus zu erkennen und ihm nachzufolgen; die Wissenschaft Christi zu besitzen und so die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus zu erwarten am Ende der Zeiten. "Ich denke, daß diese Worte gerade für jene gelten, welche die Gnade der Exerzitien des Heiligen Ignatius erleben durften.
In der Tat, diese Exerzitien sind eine große Gnade. Einige von Ihnen durften sie schon mehrmals machen, und jedes Mal haben Sie dabei neue Kraft und einen neuen Ansporn erhalten, um Ihr christliches Leben besser nach dem Willen Gottes auszurichten. Denn es reicht noch nicht, sich fünf Tage in die Exerzitien zu begeben, um dann sicher zu sein, daß alle Hindernisse des christlichen Lebens beseitigt seien, und daß man danach für immer in der Gnade befestigt sei. Sie wissen es gut, wir bleiben schwache Menschen. Wir müssen deshalb die Gnade, die uns Gott in der Hl. Taufe geschenkt und durch die Sakramente der Buße und der Eucharistie vermehrt hat, immer wieder neu erwecken.
So sehen wir auch die Notwendigkeit ein, oft an unsere Exerzitien zurückzudenken. Ich möchte Sie durch die folgenden Gedanken etwas in die Stimmung der Exerzitien zurückversetzen, indem ich Ihnen die Hauptteile, die vier "Wochen" der Exerzitien des Heiligen Ignatius, kurz darlege. Erinnern Sie sich, daß der Hl. Ignatius uns in der ersten Woche dazu anleitet, über unsere Sünden nachzudenken, um die Schrecklichkeit und die Tragik der Sünde zu begreifen. Er führt uns ernste Wirklichkeiten vor Augen: die Hölle und das Fegfeuer; aber auch das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus und das Blut, das Er vergossen hat für diese Sünden. So müssen uns diese Betrachtungen die Schwere der Sünde bewußt machen, damit wir uns von ihr entfernen und unsere Sünden im Blut unseres Herrn Jesus Christus tilgen durch das Sakrament der Buße. Die ersten Tage der Exerzitien sind dazu da, um über diese wichtigen Dinge nachzudenken, die uns ja täglich begegnen in unserem Leben. Oh ja, sagt doch der Heilige Johannes, daß selbst der Gerechte siebenmal fällt am Tage – obwohl er damit nicht schwere Sünden meint, sondern die Nachlässigkeiten und Unvollkommenheiten – wieviel mehr sollten auch wir daran denken, daß wir Sünden zu bereuen haben und beim Priester immer wieder um die Lossprechung bitten müssen. Und das tun wir ja auch bei den Exerzitien; wir machen eine gute Beichte, eine Generalbeichte, und unsere Seele ist befreit, erleichtert, unsere Seele findet den Frieden.
Nach dem Fest vom "verlorenen Sohn" beginnt dann die zweite Woche mit dem Ruf des Christkönigs. Befreit von unserer Sündenlast hörten wir den Ruf unseres Herrn Jesus Christus, des Königs; ja, denn Er ist König! Er ist König als der Gott-Mensch, Er ist der König; der König der Schöpfung, aller Dinge, der ganzen Welt. So beruft Jesus Christus uns. Hören wir diesen Ruf unseres Herrn Jesus Christus? "Kommt, folget mir nach, traget euer Kreuz, seid meine Jünger, damit es euch in das ewige Reich führe, in mein Königreich, das kein Ende hat", wie wir im Credo singen. Und dann werden uns die zwei Banner gezeigt: das Banner des Christkönigs und das Banner des Teufels. Welchem Banner werden wir folgen in unserem Leben, in diesen Lebensjahren, die uns Gott hienieden schenkt? Und wir wissen nicht, wie viele Jahre uns noch verbleiben. Wem werden wir nachfolgen: unserem Herrn Jesus Christus und seiner Heiligsten Mutter, der allerseligsten Jungfrau Maria, der Königin des Himmels und der Erde, oder aber dem Teufel? Bedenken wir, was in der Welt geschieht, in der Wirklichkeit. Wie viele Menschen werden getäuscht durch ein Scheinglück oder Vergnügungen, welche uns die Welt bietet; sie glauben nur das, was die Augen wahrnehmen. Die Güter dieser Welt, Reichtümer und Lustbarkeiten, all das zieht sie an, und sie suchen nicht weiter. Sie wollen nicht suchen, denn wenn sie die Wirklichkeit erforschen würden, die sich hinter diesen Dingen verbirgt, dann müßten sie zur Besinnung kommen. Aber sie wollen keine Probleme haben; sie ziehen es vor, die Augen zu verschließen. Sie wollen lieber wie Blinde auf ihrem Weg weitertaumeln, als über die ernste Realität der Ewigkeit und den Sinn des Lebens nachzudenken. Wir jedoch, wir können das nicht. Und wir wollen es nicht so machen, weil wir wissen, daß wir getauft sind im Blute unseres Herrn Jesus Christus. Für uns gibt es deshalb keine andere Wahl, als unserem Herrn Jesus Christus zu folgen, uns unter das Banner unseres Christkönigs, unseres Königs und der allerseligsten Jungfrau Maria, unserer Königin, zu stellen.
Dies aber verlangt von uns eine Entscheidung, und dies ist auch noch eine Betrachtung der zweiten Woche: die Erwählung. Die wichtige und schwerwiegende Entscheidung, welche für junge Menschen das ganze Leben bestimmt: zu erforschen, ob der liebe Gott uns vielleicht zum Ordensleben beruft, oder zum Priestertum; zu einem Leben, das ganz dem Reich unseres Herrn Jesus Christus in seinem Dienste geweiht ist, oder ob wir berufen sind für die Ehe. Zwei Lebenswege, die uns endgültig binden, für das ganze Leben. Es ist deshalb wichtig für die Jugendlichen, sich diese Dinge zu überlegen. Ohne Zweifel sind die meisten berufen zum Ehestand. Deshalb betrachtet man in der zweiten Woche besonders die Heilige Familie. Welch ein Beispiel gibt uns doch die Heilige Familie, welch ein wunderbares Vorbild für jene, die sich zum Ehestand verpflichten! Bedenken wir auch, daß unser Herr Jesus Christus dreißig von seinen dreiunddreißig Lebensjahren in seiner Familie verbringen wollte! Unser Herr Jesus Christus lebte mit seiner Mutter und seinem Pflegevater, dein Heiligen Josef. Unser Herr Jesus Christus hat uns das Beispiel des Familienlebens gegeben, die allerseligste Jungfrau Maria das Beispiel für die Familienmütter und der Hl. Josef für die Familienväter. In dieser Verborgenheit und Stille, in der Freude und im Frieden, in dieser Eintracht lebte unser Herr während dreißig Jahre. Und dann, in den drei letzten Jahren seines Lebens hat Er begonnen, sein Priestertum auszuüben. Jene, die das religiöse Leben und das Priestertum erwählen, sollen besonders diese drei Jahre des öffentlichen Wirkens unseres Herrn Jesus Christus betrachten. Ja, die jungen Menschen haben deshalb eine wichtige Erwählung zu treffen. Was ist aber mit jenen, die sich schon verpflichtet haben in einem Lebensstand, wozu noch eine Erwählung? Diese ist notwendig! Wir müssen nachforschen, ob wir uns in unserem alltäglichen Leben wirklich auf dem Weg zum Himmel befinden. Es reicht nicht aus, daß man sich einmal endgültig für das Priestertum, das Ordensleben oder für die Ehe entschieden hat, um sagen zu können: Jetzt ist alles gut, ich werde sicher in den Himmel kommen. Es ist noch manche Wahl zu treffen im Laufe unseres Lebens. Wie viele Entscheidungen im Familienleben, bezüglich unserer Kinder, unseres Berufes und der Güter, die wir besitzen. Wie viele Dinge können unsere Seele beeinflussen für die Ewigkeit! So müssen wir auch über diese Dinge nachdenken und den Weg einschlagen, der uns zum ewigen Leben führt. Wir müssen doch das Ziel erreichen, zu dem wir geschaffen sind. Dies sind die Überlegungen, die wir anstellen sollen während der zweiten Woche, welche die Betrachtung der freudenreichen Geheimnisse unseres Herrn beinhaltet.
Die darauffolgende dritte Woche, die der Leidensbetrachtungen, ist sehr wichtig, denn sie weist uns hin auf das, was wir immer vor Augen haben müssen: das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus. Unser Herr Jesus Christus ist gekommen, um zu sterben für uns, um sein Blut zu vergießen für uns. Ja, wir brauchen das Kreuz! Wir kommen nicht vorbei am Kreuz unseres Herrn Jesus Christus. Es ist der Weg, auf dem unser Herr Jesus Christus gehen wollte, sein Weg, sein Thron, der Weg zum Himmel. Er wollte keinen anderen Weg einschlagen; Er wollte durch das Leiden und das Kreuz zur Auferstehung gelangen. Und wir, die wir noch nicht bei der Auferstehung angelangt sind, unser Weg hienieden ist das Kreuz. Und welche Hoffnung, welch tiefe Freude, daß wir uns mit unserem Herrn Jesus Christus vereinigen können in unserem Leben, in den Schwierigkeiten, in den Prüfungen, aber auch in den Freuden. Immer mit unserem Herrn Jesus Christus und mit der allerseligsten Jungfrau Maria folgen wir dem Weg des Kreuzes, opfern wir uns mit unserem Herrn Jesus Christus. Und Gott weiß es, wie wir besonders heute zu leiden haben; seelische Leiden wegen des Zustandes unserer Kirche; darunter leiden wir alle Tage. Auch wir sind deshalb aufgerufen, unser Kreuz mit unserem Herrn Jesus Christus vereint zu tragen. Er trägt es, da Er die Kirche sieht. Es ist nicht möglich, daß unser Herr Jesus Christus und die allerseligste Jungfrau Maria nicht leiden, wenn sie sehen, was hier auf Erden mit der Kirche geschieht, diese Passion der Kirche. So leiden auch wir, vereint mit unserem Herrn Jesus Christus; wir tragen unser Kreuz. Und um das zu können, müssen wir immer unseren Herrn Jesus Christus vor Augen haben: Jesus, den Gekreuzigten. Gerade deswegen ist Er auf unseren Altären. Und deshalb hat Er uns das Heilige Messopfer hinterlassen, welches nichts anderes ist, als sein Kreuzesopfer. Er lädt uns ein, uns mit ihm als dem Opferlamm zu vereinigen in der Heiligen Kommunion. Er ist der geopferte Heiland, das am Kreuz blutig geopferte Lamm, das wir empfangen und an dem wir teilhaben, um mit ihm auch unser tägliches Kreuz zu tragen. Oh, aber nicht mit Bitterkeit oder mutlos, sondern im Gegenteil in der zuversichtlichen Hoffnung, daß wir mit dem gekreuzigten Herrn eines Tages auch an seiner Auferstehung und an seiner Herrlichkeit teilhaben werden.
Und deshalb führt uns die vierte Woche die Auferstehung und Himmelfahrt unseres Herrn und die ewige Herrlichkeit unseres Herrn und aller Heiligen im Himmel vor Augen. Dann wird unser Herz erfüllt mit freudiger Hoffnung. Wir leben hienieden einige Jahre; da sollen wir uns entscheiden, wir sollen unsere Erwählung treffen, und zwar mutig! Wir sollen unser Kreuz tragen mit unserem Herrn Jesus Christus, und dann werden wir eines Tages auch an seiner Verherrlichung und an seiner Auferstehung teilhaben. Das sind nun also die Exerzitien, ganz einfach: Es ist das gelebte Christentum, das christliche Leben im Lichte der ewigen Wahrheiten; jener ernsten Tatsachen, denen alle Menschen gegenüberstehen. Aber wie viele sind blind, wie viele unwissend, wie viele legen sich darüber keine Rechenschaft ab! Aber wir, die wir die besondere Gnade empfangen haben, diese Dinge zu verstehen und an unseren Herrn Jesus Christus zu glauben: wie sehr sollten wir Apostel sein! Denn wir dürfen diese Gnade nicht für uns allein behalten. Wir müssen Apostel sein in unserer Familie, Apostel für unseren Nächsten, für unsere Angehörigen und Bekannten, Apostel für unsere Umgebung, ja für die ganze Welt. Wenn Sie ein Leiden zu tragen haben, eine Schwierigkeit, oder wenn Sie vielleicht eines Tages im Spital liegen werden, dann opfern Sie Ihr Leben auf, opfern Sie Ihre Leiden für das Heil der Seelen, damit die Seelen erleuchtet werden, damit sich die Seelen retten durch unseren Herrn Jesus Christus. – Das ist das Ideal des christlichen Lebens. Darin liegt auch die Schönheit und die Erhabenheit unseres christlichen Lebens. Empfehlen wir diese Gedanken der allerseligsten Jungfrau Maria. Sie hat uns in Fatima ermahnt zum christlichen Leben. Sie ist mit uns und sie wacht über uns; haben wir Vertrauen zu unserer guten himmlischen Mutter. Amen.